Spuren am Weg
Ein Vater hatte zwei Söhne. Er war schon alt und gebrechlich und sinnierte über sein Leben. Dabei kamen ihm Zweifel, ob er seinen Söhnen etwas Wichtiges für ihr Leben mitgeben konnte. Diese Frage beschäftigte ihn Tag und Nacht.
Dann ließ er seine Söhne zu sich kommen und erteilte ihnen einen Auftrag:
„Meine Söhne. Ich liebe euch sehr. Aber ich werde bald sterben und meine Spuren werden verblassen. Geht hinaus in die Welt und hinterlasst dort eure Spuren und Zeichen!“
Die zwei Söhne machten sich auf den Weg. Der Ältere baute Steintürme entlang des Weges, ritzte Zeichen in Baumrinden, grub Löcher.
Der Jüngere hingegen unterhielt sich mit den Menschen, die ihm begegneten, half, wo er konnte, feierte mit ihnen. Der ältere Sohn machte seinem Bruder Vorwürfe:
„Ich arbeite hart, setze Zeichen, wie es uns der Vater aufgetragen hat und du unterhältst dich nur mit Menschen.“
Nach einer Weile machten sie sich wieder in Richtung Heimat auf. Auf dem Heimweg kamen ihnen die Menschen entgegen und freuten sich, den jüngeren Bruder wieder zu sehen. Sie luden ihn zum Essen und Feiern ein.
Der ältere hingegen fand kaum noch ein Zeichen, das er hinterlassen hatte. Viele Steintürme waren schon abgetragen, einige Bäume mit den eingeritzten Zeichen waren gefällt, die Löcher waren zugeschüttet.
Zurück beim Vater erzählten sie von ihrer Reise und ihren Unternehmungen. Der alte Mann sprach zu ihnen:
„Ihr habt beide versucht, Zeichen und Spuren zu hinterlassen. Du, mein ältester, hast hart gearbeitet. Deine Zeichen sind aber schon verblichen.“
Dann wandte er sich seinem jüngeren Sohn zu:
„Du hast Spuren und Zeichen in den Herzen der Menschen hinterlassen. Diese bleiben erhalten.“
Dann nahm er beide Söhne in den Arm.
Autor: Stiegler Herbert, nach einem afrikanischen Märchen
Spuren hinterlassen – welche werden wohl bleiben?