Hoffnungslose Zeiten – warum sie wichtig sind und was man dann trotzdem noch tun kann

Ein Gastbeitrag von Tim Schlenzig:

Das war’s. Letzte Haltestelle. Endstation Tränenpark. Oder Friedhof. Aus und vorbei, die Träume, oder sogar das, was wir eigentlich für selbstverständlich hielten.

Beziehung tot, nachdem wir den Partner quicklebendig erwischt haben, im Bett mit unserer besten Freundin oder unserem besten Freund. Studium unfreiwillig vorbei und Perspektive: grauer Brei.

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Wohl die meisten kennen hoffnungslose Phasen …


Job verloren und ein neuer genauso wenig in Sicht wie der Lottogewinn. Hund gestorben, der uns seit zehn Jahren der treuste Freund war. Mit dem Arzt gesprochen, die Kopfschmerzen sind doch nicht einfach nur Kopfschmerzen. Oder alles zusammen.

Das Schicksal schlägt gern mit Rechts-links-Kombinationen zu, die uns nicht nur straucheln lassen, sondern niederstrecken wie die Fäuste eines riesigen Türstehers, den man im Leichtsinn der Betrunkenen am Bart gezogen hat, als er einen nicht mehr in den Club lassen wollte („Hau ab, Du bist zu besoffen!“).

Der Sturz auf nassem Asphalt in irgendwas Weiches, es ist darmwarmer Kot – alle anderen haben ihre Hunde nämlich noch. Die gehen Gassi, und wir gehen Assi, haben uns seit ein paar Tagen nicht mehr gewaschen, von Zähneputzen ganz zu schweigen. Warum auch, in diesen hoffnungslosen Zeiten.

Wie im Gedicht „Zeit ohne Hoffnung“ von den deutschen Dichtern Hans-Christoph Neuert und Elmar Kupke:

Die Jahre verderben uns
unter den Händen

die Wasser ringen nach Atem
nur die Wolken können fliehen

vergebens klammern die Bäume
ihre Arme in den Himmel – 

er kennt keinen Trost.

Kennen Sie auch, nehme ich an, und bei Gott, es ist nicht gerade leicht, so einer aussichtslosen Lage etwas Gutes abzugewinnen. Ach was, es ist fast unmöglich. Aber nur fast.

Und deswegen schreibe ich Ihnen heute: Ich will, dass Sie und ich nicht aufgeben, nicht in diesem Leben. Ich will, dass wir kämpfen, wo es sich zu kämpfen lohnt und loslassen lernen, wo uns nichts anderes bleibt.

Warum hoffnungslose Zeiten wichtig sind

Es gibt sie wirklich, die hoffnungslosen Lagen, das lässt sich nicht leugnen.

Der Hund wird nicht wiederauferstehen, die Scherben der Beziehung lassen sich nicht wieder zusammenflicken … und: An dem Abend wird man’s wohl, nach Hundekot riechend, echt nicht mehr in den Club schaffen. Dass diese Zeiten hoffnungslos sind, heißt aber nicht, dass wir nicht etwas lernen können. Etwas, das sonst keinen Platz findet in dieser Gesellschaft der Gewinner, Giganten und Grinser:

Wir haben nicht alles im Griff. Wir können vieles nicht kontrollieren. So manchem, was geschieht, sind wir einfach ausgeliefert. Schmerz und Verlust gehören zum Leben wie der Tod.

Statt im Angesicht einer drohenden Niederlage noch mehr zu strampeln, können wir in hoffnungslosen Zeiten aufhören zu kämpfen. Es gibt nichts mehr zu tun, nichts mehr zu ändern.

Was daran gut sein soll?

  1. Erstens hält uns das die Realität so nah vor die Augen, dass wir nicht mehr über sie hinwegsehen können.
  2. Zweitens können wir uns in diesen Situationen – in denen es nichts zu tun oder zu gewinnen gibt und wir auch keine Angst mehr haben brauchen, denn das Schlimme ist ja bereits eingetreten – darauf konzentrieren, zu lernen. Zu lernen, wie man das Unvermeidliche verkraften kann.
  3. Und drittens lässt uns das nach Dingen suchen, die tiefer gehen als Sieg oder Niederlage, Leben und Tod. So gut wie alle Menschen, die sich auf die Suche gemacht und ihren Fokus von Kohlescheffeln auf inneres Wachstum verschoben haben, taten das, als (oder nachdem) sie am Boden lagen.

Vom Umgang mit hoffnungslosen Situationen

Dass eine Lage hoffnungslos ist, heißt nicht, dass wir uns für alle Zeiten im Hundehaufen suhlen sollten.

Ich versuche, mit dem Unausweichlichen folgendermaßen umzugehen (manchmal gelingt es mir und manchmal nicht). Vielleicht ist ja etwas dabei, das auch Ihnen hilft:

Schritt 1: Akzeptieren

Der Weg des Hoffenden ist schwer bis zur Einsicht der Hoffnungslosigkeit, schrieb Katharina Eisenlöffel. Wenn es auch schmerzvoll bleibt, wie viel Stress nimmt uns doch die Einsicht, dass es nun mal so ist, wie es jetzt ist?

Wie viel Kraft wird frei, wenn wir den Widerstand aufgeben? Wie fühlt sich der Schmerz an, wenn Sie ihn zulassen? Wo sitzt er? Welche Farbe hat er, wenn Sie ihn sich in Ihrem Körper vorstellen? Welche Form? Wie groß ist er?

Schritt 2: Sinn geben

Ein sinnloser Schmerz lässt sich kaum aushalten. Ich weiß nicht, ob jede Niederlage und jeder Schicksalsschlag – von sich aus, oder von Gott oder wem auch immer gewollt – einen Sinn HAT. Doch wir können den Ereignissen einen Sinn GEBEN. Immer.

Sinn bedeutet Zusammenhang – wie Worte sich zu einem sinnvollen Satz verbinden, wenn sie nachvollziehbar miteinander zusammenhängen.

Zusammenhänge und damit Sinn stellen wir einerseits durch das Fühlen her (wie im ersten Schritt, indem wir den Schmerz zulassen), andererseits durch Denken. Und Denken ist nichts anderes als ein Frage-Antwort-Spiel, bei dem man lernen und durch das man wachsen kann.

Gut geeignet sind dafür aus meiner Sicht diese Fragen:

  • Kann ich dankbar sein – zum Beispiel für die zehn schönen Jahre mit dem Hund, auch wenn sie nun vorbei sind?
  • Hätte es noch schlimmer kommen können?
  • Habe ich, vielleicht vor langer Zeit, eine Entscheidung getroffen, die mich in diese Situation gebracht hat?
  • Welche Herausforderungen habe ich in der Vergangenheit schon bewältigt, nachdem ich sie erst für unüberwindbar hielt?
  • Kann mir etwas oder jemand dabei helfen, die Situation zu verkraften (Familie, Freunde, Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, das Schreiben, … )?
  • Wie kann mir diese Erfahrung langfristig helfen?

Schritt 3: Neue Hoffnung finden

Auf Dauer ist es besser, obdachlos als hoffnungslos zu sein, wie der tschechische Schriftsteller Pavel Kosorin sagte.

Wir brauchen die Zuflucht der Hoffnung. Und so machen wir uns doch wieder auf den Weg zu neuer Hoffnung und neuen Träumen. Gestärkt vom Wissen, das Schwere ausgehalten zu haben (Schritt 1) und von der neuen Bedeutung, die wir der ganzen Sache gegeben haben (Schritt 2).

Was wünschen Sie sich für die Zukunft, worauf hoffen Sie, wofür werden Sie kämpfen?

Über den Autor:

Tim_Schlenzig

Tim Schlenzig kündigte seinen Job als Unternehmensberater und lebt seitdem von seinen Websites. Auf myMONK.de schreibt er über Meditation, Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverwirklichung.

Seine etwa 100 Interviews mit Mönchen, Kampfsportmeistern, Yogis, Coachs, Therapeuten und Unternehmern hat er im E-Book „Die myMONK-Essenz“ verarbeitet.

Hier geht’s zum kostenlosen E-Book „Die myMONK-Essenz“.

 


 

 

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Kommentare

  • Danny

    Schöner Beitrag, wenn doch die Begrifflichkeiten “Glauben-Wissen” und “Kampf” näher beleuchtet und fortan aus Empfehlung heraus gehalten werden würde.

    Wer kämpft, der hat schon verloren. Im Gegensatz zu dem schalen Spruch, Kampf würde sich lohnen. Ein Grundprinzip unseres Gesellschaftsdenkens und ein Glaubensprinzip, dass TÜV/AU neu benötigt. Kampf unterliegt immer der Grundlage von Gewinner und Verlierer Existenz. In unserer Dualität (warm/kalt, hell/dunkel) muss es Verlierer geben, wenn wir gewinnen wollen. Wer kämpft, muss zwingend sich die Frage stellen, ob er/sie akzeptieren kann, auf Kosten anderer (Verlierer) leben und davon partizipieren will.

    Das Loslassen von dem Kampf-Prinzip ist der nächste Schritt in der menschlichen Entwicklung.

    Glauben-Wissen ist jenes Pseudo-Wissen, was wir hören aber nicht wirklich wissen. Wer hört, dass heiße Herdplatte “Aua” machen, glaubt zu wissen, weiß aber erst wenn er/sie es erlebt. Hoffnung ist solch Glauben-Wissen. Wissen dagegen wäre, wenn wir gedanklich zulassen, dass alles im Leben ausschliesslich uns selbst dient, weil wir der Beamer/Projektor sind und funktionieren wie Magnete, die alles anziehen, was die innere Konfiguration fordert. Wo hilft hier Hoffnung? Wer sich verfährt, bleibt besser stehen, akzeptiert was ist und verschafft sich einen Überblick.

    Eine schöne Frage ist dann: “… was fehlt mir, um Schmerz, Leid, Armut, Krankheit, etc … loslassen zu können…”. Die Antworten darauf werden vielfältig, aber umso “wissender” sein.

    Glückauf!

  • Hans

    Interessanter Anfang – schlechter Abschluss.
    “Neue Hoffnung finden” – das ist der Kernpunkt, wenn alles hoffnungslos ist, wie soll man dann eine finden?

    Das, was zur Hoffnungslosigkeit geführt hat, akzeptieren und loslassen, ist wichtig, bringt aber nicht viel, wenn ich nicht weiß, für was ich weiterkämpfen soll. Wenn mir etwas Schreckliches passiert und ich seh keine Zukunft mehr, dann bringt es mir nichts, das Schreckliche zu akzeptieren, wenn ich trotzdem keine Zukunft sehe.

  • Pius

    Sicherheiten im Leben sind Illusion. Nichts gibt’s “festzuhalten”, nicht das Leben, nicht eine Freundin, einen Hund, die Gesundheit, ein Haus oder Mitmenschen.
    Es geht im Leben doch nur darum, “Ja” zu sagen, zum wuchtigen Hammerschlag des Schicksals. Nichts gibt es da zu entkommen.

  • Sarah

    Hoffnungslose mögen eben nicht (mehr) kämpfen, genau das ist schon an sich der nicht passende Ansatz. Sie nehmen die Welt eben nicht in Spaltung (Sieg und Niederlage) wahr. Es zerstört. Sie nehmen in der Regel mehr wahr.

    Etwas loslassen kann man nur, wenn etwas da war. Hoffnungslos setzt voraus, dass etwas nicht ist. (Wenn man etwas “verloren” hat, dann ist es nicht (mehr), oft war es auch gar nicht.) Gelassenheit, Dinge zu nehmen wie sie sind, ist auch nicht loslassen.

    Herausforderungen brauchen welche Menschen? Eben die den Kampf mögen, um sich selbst oder wem auch immer was zu beweisen. Gelassene Menschen brauchen keine Beweise, weil es ist wie es ist und auch jeder sein kann wie er ist. Doch bei soviel Ignoranz der Kämpfenwoller (die im Übrigen so mit anderen in Kontakt treten) kann der Gelassenste hoffnungslos werden.

    Warum sollen Menschen in Hoffnungslosigkeit gedrängt werden? Weil es leichter ist, sie zu manipulieren.

  • Hilde

    Siehe oben “… dass wir kämpfen” – Warum kämpfen?

    Wenn man hoffnungslos ist, will und kann man nicht kämpfen.

    Man kann nur s e i n. Man hat Gefühle, die man so nicht hatte und kannte. Wenn man diese zulassen und annehmen kann, dann kann man langsam, Schritt für Schritt, aus dieser Situation herauskommen, und irgendwann richten sich die Schritte wieder zu einem Gegenüber, ob dann kämpfen das richtige ist? Ich glaube nicht …

  • Janine

    Die Punkte “Akzeptieren” und “Sinn geben” finde ich sehr gut. Sehe es allerdings mit dem “Kämpfen” genauso wie Hilde und Sarah. Man will dann eben nicht mehr kämpfen, wenn die Hoffnung weg ist. Man hat einfach die Kraft nicht mehr einfach so weiterzumachen. Und kämpfen wozu? Man möchte nur noch seine Ruhe haben.

    Das einzige, was einem gut tut ist, wenn man Verständnis erhält. Leider gibt es die auch nur sehr selten in der oberflächlichen Gesellschaft, wo man immer funktionieren muss.

    Die Natur hilft einem sehr, wenn man mit allem ganz unten ist. Sie urteilt nicht, nimmt einfach an.

  • Neuhier

    Am Ende brauchen wir Menschlichkeit.