Der Esel, der Vater und der Sohn

Versuchen Sie, es immer allen recht zu machen? Dann geht es Ihnen vielleicht wie dem Vater mit seinem Sohn und dem Esel.

Ein Vater zog mit seinem Sohn und einem Esel in der Mittagshitze durch die staubigen Gassen. Der Sohn führte und der Vater saß auf dem Esel:

„Der arme kleine Junge“, sagte ein vorbeigehender Mann. „Seine kurzen Beine versuchen, mit dem Tempo des Esels Schritt zu halten. Wie kann man nur so faul auf dem Esel sitzen, wenn man sieht, dass das Kind sich müde läuft?”

Der Vater nahm sich dies zu Herzen, stieg hinter der nächsten Ecke ab und ließ den Jungen aufsitzen.

Es dauerte nicht lange, da erhob schon wieder ein Vorübergehender seine Stimme: „So eine Unverschämtheit! Sitzt doch der kleine Bengel wie ein König auf dem Esel, während sein armer, alter Vater nebenherläuft.“ Dies tat nun dem Jungen leid und er bat seinen Vater, sich mit ihm auf den Esel zu setzen.

„Ja, gibt es sowas?“, sagte eine alte Frau. „So eine Tierquälerei! Dem armen Esel hängt der Rücken durch und der junge und der alte Nichtsnutz ruhen sich auf ihm aus. Der arme Esel!“

Vater und Sohn sahen sich an, stiegen beide vom Esel herunter und gingen neben dem Esel her. Dann begegnete ihnen ein Mann, der sich über sie lustig machte: „Wie kann man bloß so dumm sein? Wofür hat man einen Esel, wenn er einen nicht tragen kann?“

Der Vater gab dem Esel zu trinken und legte dann die Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Egal, was wir machen“, sagte er, „es gibt immer jemanden, der damit nicht einverstanden ist. Ab jetzt tun wir das, was wir selber für richtig halten!“ Der Sohn nickte zustimmend.

(Frei nach Nasreddin Hodscha)

Es heißt nicht umsonst:


Allen recht getan,
ist eine Kunst,
die niemand kann.


Und übrigens: Wenn wir ständig versuchen, es anderen recht zu machen, bleiben unsere Wünsche und Bedürfnisse auf der Strecke. Das muss nicht sein!


Weitere Weisheitsgeschichten und Impulse in meinem Buch: 


Was uns diese Geschichte lehrt

Die Versuchung, es jedem recht machen zu wollen, ist oft groß.

Aber egal, wie umsichtig wir dabei vorgehen, es wird immer Personen geben, die unsere Handlungen missverstehen oder missbilligen.

Wenn jemand mit Geld freizügig umgeht, werden einige es als verschwenderisch bezeichnen. Dreht man jeden Cent dreimal um, wird man als Geizkragen abgestempelt. Wenn man liberale Ansichten vertritt, ist man zu tolerant, bei konservativen wird man von einigen als Ewiggestriger bezeichnet. Wenn man nichts tut, wird man gerade deshalb angegriffen, wenn man hingegen etwas macht, bietet man damit ebenfalls eine Angriffsfläche.

Wie man’s auch macht, macht man es falsch.

Wenn Sie Ihr Leben stets danach richten, es anderen recht zu machen …

Versuchen Sie oft, es allen recht zu machen? Dann sollte Ihnen auch bewusst sein: Je mehr Sie das tun, was andere von Ihnen erwarten, desto mehr bleiben Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse auf der Strecke.

Die Gefahr ist groß, dass Sie dadurch von Mitmenschen ausgenutzt werden, und diese Erkenntnis kann sehr schmerzvoll sein.

Besser: 

Geben Sie auch mal Ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen ganz klar Vorrang. Dies kann wie ein befreiendes Entkommen aus einem engen Korsett wirken. Lernen Sie, Nein zu sagen, dann wird auch Ihr Ja mehr geschätzt werden!


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Kommentare

  • Wolfgang Apfeld

    DANKE – Das war eine Lesebuchgeschichte der 3. Klasse in meiner Schulzeit;
    die habe ich meiner Familie geschickt.

    Mit freundlichem Gruß
    Wolfgang Apfeld

  • Eduard Pesendorfer

    Ich habe irgendwo folgende Variante gelesen:

    Vater und Sohn banden schließlich dem Esel die Beine zusammen, steckten eine Stange durch und trugen den Esel.

  • Harald Mäntz

    Eine Geschichte, in der ich mich selbst wiedererkenne.

    Wenn ich versuche, mich allem um mich herum anzupassen, bin ich nicht mehr ich selbst. Viele werden mich dann vielleicht mögen. Doch dann mache ich mein Wohlbefinden von dem Wohlwollen anderer abhängig. Möchte ich das oder kann ich auch glücklich sein, so wie ich bin und mit dem, was ich tue.

    • Burkhard Heidenberger | ZEITBLÜTEN

      … Doch dann mache ich mein Wohlbefinden von dem Wohlwollen anderer abhängig.

      Treffend formuliert – damit haben Sie vollkommen recht, danke!

  • Karsten

    Hallo,

    vielen Dank für diese Geschichte!

    Es ist wie vom Himmel gekommen, da ich diese Geschichte heute einer meiner Klientinnen vorlesen werde. Ich denke, vielen Menschen ist ein Stück mit solch kleinen Geschichten geholfen, um mal wieder einen Anstoß zur Selbstreflexion zu bekommen!!

    Vielen Dank dafür!

    Alles Liebe und gute von Herzen.

    Karsten

  • Helmut Link

    Nach dieser Geschichte habe ich schon lange gesucht, weil ich sie schon einmal gehört hatte, aber nicht mehr dem Wortlaut getreu wiedergeben konnte.

    Ich werde sie bei unserer Jahreshauptversammlung im Verein abschließend vortragen, um dem einen oder anderen Weltverbesserer mal einen Spiegel vorzuhalten.

    Viel zu oft erkenne ich mich in dieser Geschichte wieder.

    Mit freundlichem Gruß
    Helmut Link

  • SwissMom

    Ich werde diese Geschichte meinen Kindern beim abendlichen Kuschel-Ritual vor dem Schlafengehen vortragen!

    Man kann nicht früh genug lernen, auf sich selbst zu hören und seine eigenen Entscheidungen zu fällen. Gerade in der heutigen Zeit, wo unsere Kinder als “Digital Natives” sehr vielen Einflüssen ausgesetzt sind. Herzlichen Dank, sehr wertvoll.

    • Burkhard Heidenberger | ZEITBLÜTEN

      Schöne Idee, diese Geschichte den Kindern vorzutragen!

  • Bettina Suarez

    Ich kenne diese Geschichte aus dem Englischen und suche sie in der Länge noch auf Deutsch: der Esel hieß Heini … also nach all dem nahmen der Vater und der Sohn letztendlich den Esel auf ihre Schultern. Als sie über eine Hängebrücke hoch oben zwischen den Bergen kamen, verloren sie das Gleichgewicht und der Esel stürzte in die Tiefe! Die Moral von der Geschichte: Wenn du versuchst, es jedem recht zu machen, wirst du deinen Heini verlieren! ?

  • Rainer Ostendorf

    Die Geschichte kannte ich noch nicht. Sie ist gut und weise. Ich danke für den Tipp und wünsche schöne Grüsse aus Osnabrück

  • C.K.

    Steht diese Geschichte nicht in der Bibel als Gleichnis?

    • Burkhard Heidenberger | ZEITBLÜTEN

      Nein.