Die heutige Jugend
Wohl jeder von uns hat seine Vorurteile – der eine mehr, die andere weniger.
Nun kann es durchaus vorkommen, dass uns durch eine Begebenheit vor Augen geführt wird, dass es sich eben um eine vorgefasste Meinung handelt, die nicht unbedingt den Tatsachen entspricht und schon gar keine Allgemeingültigkeit hat.
Zog er seine Mütze und sammelte Geld …
Dazu eine kurze Geschichte aus dem Buch „Geschichten, die dein Herz berühren“:
An einem eisigen Wintertag wartete ich in einer überfüllten Bahnhofshalle auf meinen Zug. Beim Einsteigen herrschte ziemliches Gedränge. Deshalb nahm auch kaum jemand wahr, dass eine alte Frau von einem rücksichtslosen jungen Mann angerempelt worden war und beinahe zu Boden gefallen wäre, wenn ich sie nicht aufgefangen hätte!
Diese Frau saß mir dann im Zug dankbar gegenüber. Wir kamen ins Gespräch und ich erkundigte mich noch einmal nach ihrem Wohlbefinden.
Die Jugend von heute ist einfach nicht mehr das, was sie früher einmal war, so endeten meine Worte.
Als der Schaffner kam, um die Fahrkarten zu kontrollieren, stellte die Frau erschrocken fest, dass ihre Geldbörse gestohlen worden war! Der alten Dame kamen die Tränen und sie erzählte, dass sie eben auf der Bank ihre monatliche Rente abgehoben hatte.
Im Zugabteil wurde es ganz still und es schien, dass jeder mit dieser Frau mitempfand.
Als ein junger Mann anfing, auf seiner Mundharmonika eine fröhliche Melodie zu spielen, hätte ich mich beinahe darüber empört. Ich fragte mich, wie wenig Feingefühl doch die Jugend heutzutage haben müsse, um in solch einer Situation Heiterkeit zu verbreiten.
Es kam noch schlimmer! Nach seiner Darbietung zog der junge Mann seine Mütze vom Kopf und ging im Zug umher, um Geld zu sammeln. Es schien, dass ihm wirklich alle Fahrgäste Geld gaben, ich sah sogar, dass manche Scheine zückten!
Ganz zum Schluss kam er zu mir. Nein, ich wollte keinen Bettler unterstützen, der noch dazu zwei gesunde Hände zum Arbeiten hatte! Also stellte ich mich schlafend, sodass er mich zum Glück nicht ansprach.
Dann passierte jedoch etwas, das mich zutiefst erstaunen ließ. Der Mundharmonikaspieler ging zu der bestohlenen Frau und schüttete das gesammelte Geld auf deren Schoß! Er lächelte sie an und sagte, dass jeder im Zug von Herzen gerne etwas gegeben habe.
Beschämt erkannte ich meinen Irrtum und wollte gerade doch noch nach meiner Brieftasche greifen. Aber dazu war es zu spät, die alte Frau war bereits aus dem Zug ausgestiegen. Ich sah sie mit Tränen der Rührung am Bahnsteig stehen.
Dankbar winkte sie den hilfsbereiten und großzügigen Menschen im Zug hinterher.
© Gisela Rieger
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Gisela. Die Geschichte stammt aus ihrem Buch „Geschichten, die dein Herz berühren“.
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