Der beste Empfehlungsbrief
Das Verhalten einer Person in bestimmten Situationen und ihr Auftreten sagen in der Regel mehr über deren Persönlichkeit aus als jedes Zeugnis:
Vor einigen Jahrzehnten suchte ein reicher Kaufmann dringend einen neuen, zuverlässigen Laufburschen und gab deshalb in der Tageszeitung eine Stellenanzeige auf.
Umgehend meldeten sich über zwanzig Männer, die alle zu einem Bewerbungsgespräch geladen wurden.
Der Kaufmann wählte schnell einen der Stellensuchenden aus. Sein alter Prokurist fragte ihn: »Mich würde interessieren, weshalb Sie gerade diesen jungen Mann bevorzugt haben, obwohl er als Einziger keinen Empfehlungsbrief vorweisen konnte?«
»Sie irren sich«, lautete die Antwort, »dieser Bewerber war im Besitz zahlreicher Empfehlungen. Im Vorzimmer drängte er sich nicht vor und bot umgehend einem älteren Wartenden seinen Stuhl an. Das zeigt mir, dass er über Geduld, Aufmerksamkeit und Herzensgüte verfügt.
Ehe er mein Büro betrat, putzte er seine Füße ab und schloss die Türe hinter sich. Daraus schließe ich, dass er sorgfältig und höflich ist.
Er nahm seine Mütze ab und reichte seine Hand zum Gruß. Daran erkenne ich, dass er gute Manieren hat.
„Er sah mir stets in die Augen. Das zeigt mir, dass er ehrlich ist.“
Er sah mir, trotz meiner Musterung, stets in die Augen. Das zeigt mir, dass er ehrlich ist.
Auf alle meine Fragen konnte er schnell und sicher antworten. Das beweist mir, dass er Verstand hat.
Er hob als Einziger das Taschentuch auf, welches ich absichtlich auf den Boden hatte fallen lassen. Daraus schließe ich, dass er gute Sitten besitzt.
Seine Hände und sein Gesicht waren sauber und seine Kleidung war gut ausgebürstet. Daran sehe ich, dass er korrekt ist und gut erzogen wurde.
Ich stellte ihm deshalb ein gutes Zeugnis für sein anständiges Benehmen aus.
Mein Lieber, ich gebe mehr auf das, was ich von einem Menschen erfahre, nachdem ich ihn wenige Minuten lang gesehen habe, als auf das, was in schön formulierten Empfehlungsbriefen geschrieben steht.«
© Gisela Rieger
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Gisela. Die Geschichte stammt aus ihrem Buch „Geschichten, die dein Herz berühren“: